Wortberge
Ein Blindtext auf Reisen
Weit hinten, hinter den Wortbergen, fern
der Länder Vokalien und Konsonantien leben die Blindtexte.
Abgeschieden wohnen Sie in Buchstabhausen an der Küste
des Semantik, eines großen Sprachozeans. Ein kleines
Bächlein namens Duden fließt durch ihren Ort und
versorgt sie mit den nötigen Regelialien.
Es ist ein paradiesmatisches Land, in dem einem gebratene
Satzteile in den Mund fliegen. Nicht einmal von der allmächtigen
Interpunktion werden die Blindtexte beherrscht - ein geradezu
unorthographisches Leben. Eines Tages aber beschloß
eine kleine Zeile Blindtext, ihr Name war Lorem Ipsum, hinaus
zu gehen in die weite Grammatik. Der große Oxmox riet
ihr davon ab, da es dort wimmele von bösen Kommata, wilden
Fragezeichen und hinterhältigen Semikoli, doch das Blindtextchen
ließ sich nicht beirren. Es packte seine sieben Versalien,
schob sich sein Initial in den Gürtel und machte sich
auf den Weg. Als es die ersten Hügel des Kursivgebirges
erklommen hatte, warf es einen letzten Blick zurück auf
die Skyline seiner Heimatstadt Buchstabhausen, die Headline
von Alphabetdorf und die Subline seiner eigenen Straße,
der Zeilengasse. Wehmütig lief ihm eine rethorische Frage
über die Wange, dann setzte es seinen Weg fort. Unterwegs
traf es eine Copy. Die Copy warnte das Blindtextchen, da,
wo sie herkäme wäre sie zigmal umgeschrieben worden
und alles, was von ihrem Ursprung noch übrig wäre,
sei das Wort "und" und das Blindtextchen solle umkehren
und wieder in sein eigenes, sicheres Land zurückkehren.
Doch alles Gutzureden konnte es nicht überzeugen und
so dauerte es nicht lange, bis ihm ein paar heimtückische
Werbetexter auflauerten, es mit Longe und Parole betrunken
machten und es dann in ihre Agentur schleppten, wo sie es
für ihre Projekte wieder und wieder mißbrauchten.
Und wenn es nicht umgeschrieben wurde, dann benutzen Sie es
immernoch.
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Lesbarkeit
Lieber Kunde und Leser, falls Sie keine Probleme haben, diesen
Blindtext schnell und zügig zu lesen, können Sie sich
glücklich schätzen. Der verantwortliche Art Director,
der Ihnen höchstwahrscheinlich gerade diesen Entwurf präsentiert,
versteht sein typografisches Handwerk par excellence.
Er hat diesen Copyblock weder gestaucht, gezerrt, noch in Versalien
oder gar in 6 Punkt Eurostile Outline gesetzt. Er hat ihn ganz
einfach lesbar gemacht. Offenbar sogar ziemlich gut, sonst hätten
Sie wohl schon einige Zeilen zuvor die Leselust verloren.
Beachten Sie nur die Zeilenbreite, die er gewählt hat.
Sie ist weder zu lang noch zu kurz gewählt. Der dazugehörige
Zeilenabstand ist ideal. Ihre Augen haben keinerlei Probleme,
vom Ende einer Zeile in die nächste zu gelangen.
Um einen solchen Art Director kann man Sie beneiden. Er nutzt
den ihm gewährten gestalterischen Freiraum nicht, um sich
selbst darzustellen, sondern Sie. Er weiß, daß es
Wichtiges über Ihr Unternehmen oder Produkt zu sagen gibt.
Und dem räumt er großzügig Platz ein.
Dieser Mensch hat zweifelsohne nicht am Mäschäßutzets
Inschtitut of Gräfick Ahts studiert. Er besitzt keine Bücher
von Neville Brody oder April Greiman, und wenn doch, ordnet
er sie im Regal unter Kunst ein. Statt dessen pflegt er eine
liebevoll innige Beziehung zu Büchern von Tschichold und
Otl Aicher. Und: Er liest sie.
Sie sollten an dieser Stelle ruhig mal zu ihm rüberlächeln.
Loben Sie ihn.
Laden Sie ihn zum Essen ein.
Denn Sie werden sicher noch viel Freude an seiner Arbeit haben.
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